Was wäre, wenn...... es keinen internationalen Agrarhandel gäbe?

Internationaler Agrarhandel trägt zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung bei. Aber was wäre, wenn es ihn nicht gäbe? Welche Auswirkungen hätte das für die Futtermittelindustrie und weitere Akteure? Experten aus Politik und Wirtschaft stellen Prognosen.

Sojaschrot als Futtermittel aus Südamerika, Wassermelonen aus Afrika oder Reis aus Südostasien – der internationale Agrarhandel ermöglicht Mensch und Tier eine abwechslungsreiche Ernährung. Landwirte und Hersteller produzieren dort, wo dies klimatisch, technisch und ökonomisch am sinnvollsten ist. Die Futtermittelindustrie nutzt trotz regionalem Fokus bei der Beschaffung ihrer Bestandteile auch weltweit verfügbare Rohstoffe.

Auch für die Welternährung ist internationaler Agrarhandel unerlässlich. Bis 2050 werden die etwa zehn Milliarden Menschen die Nachfrage an Nahrungsmitteln und Rohstoffen um rund 50 Prozent erhöhen. Besonders Entwicklungsländern, die stark vom Klimawandel betroffen sein werden, drohen dann große Hungersnöte. Hier bildet der Agrarhandel die Brücke zwischen dem Angebot in Ländern, in denen mehr erzeugt als verbraucht wird, und der Nachfrage in Entwicklungs- und Schwellenländern. Denn manche Regionen mit hohem Bevölkerungswachstum können, bedingt durch agronomische und klimatische Bedingungen, nicht ausreichend Nahrung produzieren. Sie sind auf den Handel angewiesen.

Aber was wäre, wenn es keinen internationalen Agrarhandel mehr gäbe? Vertreter aus Politik und Industrie geben Auskunft:

Folgen für Futtermittelhersteller

„Schlechte Ernten könnten Futtermittelhersteller ohne globalen Agrarhandel nicht mehr ausgleichen. Selbst in normalen Erntejahren ist unsere Tiernahrung auf spezifischen Proteinbedarf aus dem Ausland angewiesen. Das wäre für uns Hersteller eine Katastrophe, weil wir den Bedarf der Landwirte nicht bedienen könnten.“

Jan Lahde, Präsident des DVT und Geschäftsführer des Mischfutterunternehmens HANSA Landhandel GmbH & Co. KG

„Futtermittelhersteller hier in Europa sind nicht nur auf Soja, sondern teilweise auch auf Importe von Raps- oder Sonnenblumensaat und deren Schrote angewiesen. Ohne internationalen Handel müssten Landwirte ihre Viehbestände drastisch reduzieren.“

Stefan Vogel, Head of Agri Commodity Markets Research und Global Sector Strategist for Grains and Oilseeds

Folgen für Landwirte

„Landwirte können ihre Produktion nicht verlagern, wie es andere Produktionszweige machen können. Dürften sie nur ihren eigenen Markt beliefern, würde der technische Fortschritt in der Produktion dazu führen, dass Flächen aufgegeben werden müssten. Wetterschwankungen würden sich extrem auf die Versorgungssituation und die Preise auswirken.“

Dr. Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Folgen für Unternehmen

„Da es keine internationale Auswahl an Produktionsmitteln gäbe, müssten sich Unternehmen mit dem arrangieren, was national zur Verfügung steht. Das reduziert die Auswahlmöglichkeit. In den meisten Fällen wird das zu deutlich höheren Produktionskosten führen.“

Dr. Stephan Hubertus Gay, Agrarpolitikanalyst bei der OECD

„Der internationale Handel hat eine versorgende und preisbildende Funktion. Unsere Aufgabe als Futtermittelhersteller ist es, die Ernährung der Tierbestände sicherzustellen. Ohne internationalen Agrarhandel wären wir gezwungen, Aufgabengebiete, wie die Preisbildung, selbst zu übernehmen.“

Jan Lahde, Präsident des DVT und Geschäftsführer des Mischfutterunternehmens HANSA Landhandel GmbH & Co. KG

Folgen für Europa

„Europa ist sowohl der weltgrößte Im- als auch Exporteur von Agrargütern. Wenn Rohstoffe nicht mehr importiert werden könnten, würde dies die Veredlungswirtschaft hart treffen – zahlreiche Arbeitsplätze wären gefährdet.

Dr. Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

„Fehlender internationaler Agrarhandel würde für Europa Wettbewerbsnachteile und steigende Produktionskosten bedeuten. Wir hätten langfristig nicht mehr genügend Rohstoffe, um Futtermittel zu produzieren.“

Dr. Hermann-Josef Baaken, Sprecher der DVT-Geschäftsführung

Folgen für Konsumenten

„Verbraucher müssten mehr Geld für Lebensmittel bezahlen – nicht für bessere Lebensmittel, sondern für die Kosten einer ineffizienteren Erzeugung. Sie hätten deutlich weniger Auswahl in den Regalen und müssten auf lieb gewonnene Produkte wie Bananen, Kaffee oder Schokolade verzichten. Auch Fleisch, Milch und Eier würden bei uns knapper und teurer.“

Dr. Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

„Für Konsumenten würde es ohne internationalen Agrarhandel sehr teuer werden. Sie müssten weit mehr als die aktuell rund zwölf Prozent ihres normalen Haushaltsbudgets für Lebensmittel investieren, da sich die Preise stärker an den Werten der Nachbarländer hier in Europa orientieren würden.“

Dr. Hermann-Josef Baaken, Sprecher der DVT-Geschäftsführung

Folgen für Entwicklungsländer

„Der internationale Agrarhandel ist zur wirtschaftlichen Besserstellung von Entwicklungsländern unerlässlich. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ist der Agrarhandel ein wichtiger Faktor bei der Schaffung von Arbeitsplätzen sowie lokalen und regionalen Wirtschaftsstrukturen. Er fördert die wirtschaftliche Entwicklung, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern.“

Klaus Schumacher, freiberuflicher Agrar-Berater, AgriConsult

„Insbesondere Entwicklungsländer brauchen den Zugang zu internationalen Märkten. Agrar-Exporte sichern Einkommen in Ländern mit guten Voraussetzungen für die Agrarerzeugung, wovon die ärmere Bevölkerung im ländlichen Raum profitiert. Viele Länder brauchen aber Importe um ihre Bevölkerung zu ernähren. Sie wären ohne Handel vom Hunger bedroht.“

Dr. Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

„Entwicklungsländer könnten kein Geld durch ihre Exportgüter erwirtschaften. Diese Einnahmen benötigen sie aber wiederum für den Import von Produkten, um die Versorgung ihrer Bevölkerung sicherzustellen.“

Dr. Stephan Hubertus Gay, Agrarpolitikanalyst bei der OECD

Wie würde die Welt ohne internationalen Agrarhandel aussehen ...

... nach zehn Tagen

  • durch die laufenden Lagerbestände würde es nicht zur akuten Verknappung kommen, aber zu großen Unsicherheiten in den nationalen Märkten
  • starke Preisschwankungen und deutliche Preiserhöhungen
  • sofortiger Druck auf die Wettbewerbssituation und die Einkommenssituation vieler Landwirte

... nach einem Jahr 

  • die größten Lagerbestände in den Importländern wären aufgebraucht; Exportländer würden große Lagerbestände aufbauen
  • Versorgungsengpässe führen in Entwicklungsländern zur schlechteren Versorgung mit Nahrungsmitteln und damit zu mehr Hunger und Unruhen
  • die gesamte Industrie und die gesamte Wirtschaft hätten sich noch nicht an eine Situation ohne Handel angepasst
  • ökonomische Einschränkungen und weniger Absatz für Landwirte in Deutschland und international
  • fehlende Verfügbarkeit von Futterkomponenten (z. B. Sojaschrot) führt zu Versorgungsproblemen und zur Reduktion von Tierbeständen und zurückgehender Leistung bei den Tieren (weniger Milchmenge, weniger Eier, geringerer Fleischansatz)
  • steigende Arbeitslosigkeit vor allem in ländlichen Regionen
  • höhere Preise für Futtermittel und weniger Auswahl an Lebensmitteln mit dennoch höheren Preisen für Verbraucher

... nach zehn Jahren

  • keine genügende Agrarproduktion, um die Welt ausreichend mit Nahrungsmitteln in allen Regionen dieser Welt zu versorgen
  • massive ökonomische Einschränkungen
  • mehr Armut
  • Hunger, Unruhen, Krieg, Flucht, größere Umweltbelastungen

Quellen: Interviewpartner Schumacher, Dr. Baaken, Aeikens, Dr. Gay, Vogel, Lahde